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Die neuen Gänse von Köln

29. August 2022 | BUND, Lebensräume, Tiere und Pflanzen, Umweltbildung

Niligans (Holger Sticht)

Der Konflikt um durch Gänse verkotete Wiesen hat durch einen recht einseitigen Artikel in einer Kölner Tageszeitung kürzlich eine neue und völlig unnötige Eskalationsstufe erreicht. Aus BUND-Sicht ist entscheidend, politische Entscheidungen auf naturwissenschaftlicher Basis und hier auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes zu treffen.

Der BUND-Hintergrund „Wald und Huftiere, Artenschutz und Karnivore“ von 2021 befasst sich u.a. mit dem Thema „neue Arten“ und dem vernünftigen Umgang mit ihnen. Aus diesem Hintergrund haben wir den folgenden Beitrag zu neuen Gänsearten entnommen. Der BUND-Hintergrund steht hier zu Verfügung.

 

Was sind „neue Vogelarten“, ab wann sind sie invasiv?
Neobiota“ sind „neue Lebewesen“, welche nach Entdeckung der „neuen Welt“ (Amerika) unter menschlicher Einflussnahme bei uns aufgetreten und insofern gebietsfremd (allochthon) sind.

Arten, die vor 1492 direkt oder indirekt durch den Menschen zu uns gelangt sind und sich etabliert hatten, nennt man „Archäobiota“.

Einheimische oder indigene Arten nennt man auch „autochthon“.

Arten, die im Zuge einer selbstständigen Besiedlung oder Wiederbesiedlung eingewandert sind, werden als „neueinheimisch“ bezeichnet und zählen nicht zu den Neobiota (Meinig et al. 2020).
Naturschutzfachlich betrachtet ist eine neobiotische Art erst dann als problematisch einzuordnen, wenn es naturwissenschaftliche Belege dafür gibt, dass diese Art bzw. ihre Bestandsentwicklung die gebietsheimische biologische Vielfalt gefährdet, es sich also um eine invasive Art handelt. Für Deutschland werden so genannte Invasivitätsbewertungen durch das zuständige Bundesamt für Naturschutz vorgenommen.

Kanadagans
Das natürliche Verbreitungsgebiet der Kanadagans (Branta canadensis) erstreckt sich über fast ganz Nordamerika. In Großbritannien wurde sie bereits 1665 eingebürgert, in Deutschland gilt die Kanadagans seit 2004 als etabliert. Für NRW wurde bis 2009 eine jährliche Zuwachsrate von 15 % errechnet, der Bestand lag seinerzeit bei max. 2.600 Brutpaaren. Hier kommt fast die Hälfte des deutschen Bestands vor (Grüneberg et al. 2013).

Die Naturschutzfachliche Invasivitätsbewertung des BfN führt die Kanadagans als „potenziell invasiv“ auf der Beobachtungsliste. Eine Gefährdung heimischer Arten ist ebenso wenig bekannt wie negative ökosystemare Auswirkungen. Hybridisierung mit Graugans findet statt, die Nachkommen sind aber steril. Es werden „negative ökonomische Auswirkungen“ (Landwirtschaft, Beeinträchtigung der Luftfahrt, Verschmutzung von Grünflächen) angeführt. Krankheitsübertragungen sind nicht bekannt. Es bestünden Wissenslücken und Forschungsbedarf (Nehring et al. 2015).

Konflikte treten insbesondere in Freizeitanlagen des urbanen Raums infolge von Verkotung auf. Dieses Phänomen ist allerdings auch bei der einheimischen Graugans (Anser anser) bekannt.

An vier Duisburger Seen wurden aufgrund von Konflikten mit Nutzern und Bevölkerung die Bestände von brütenden Grau- und Kanadagänsen über zehn Jahre durch die Entnahme von Eiern gemanagt. Dennoch sind die Brutpaarzahlen weiter angestiegen. Offenbar schöpft die Gelegeentnahme nur die (zukünftige) Nichtbrüterreserve ab. Die Beschwerden über den Gänsekot haben vor allem dadurch abgenommen, dass Maßnahmen ergriffen wurden, unabhängig von der Entwicklung der Bestände (Kowallik et al. 2020).

Im Naturschutzgebiet und Landschaftsschutzgebiet „Kiesgrubensee Gremberghoven“ (Köln/NRW, ca. 60 ha) korrelierte das nahezu vollständige Verschwinden des Riesen-Schwadenröhrichts zeitlich mit der Ansiedlung von Brutpaaren der Kanadagans und der Nilgans. Die ehemaligen Röhrichtstandorte wurden nachfolgend durch die konkurrenzschwache und in NRW gefährdete Nadelsimse besiedelt, welche die Beweidung offenbar gut verträgt (BUNDzentrum Köln 2017).

Eine Verdrängungswirkung durch die Kanadagans auf heimische Vogelarten in Bezug auf Nistplätze und Nahrung konnte nicht festgestellt werden. Die Brutpaarzahl hat sich nach der ersten Brutansiedlung in 2011 bis 2017 auf drei eingependelt. Als Grund wird die begrenzte Nahrungsverfügbarkeit angenommen (BUNDzentrum Köln 2017).

In NRW steht die Kanadagans auf der Liste der jagdbaren Arten. Sowohl im Jagdjahr 2018/19 als auch im Folgejahr lag die Anzahl der durch Jäger geschossenen Kanadagänse bei um die 7.000 (MULNV 2020).

Ein regulierender Eingriff über die Jagd ist ohne Erfolgsaussicht (NWO 2008).

 

 

Nilgans
Die Nilgans (Alopochen aegyptiaca) ist heute in Afrika südlich der Sahara verbreitet. Aus Nordafrika und Südosteuropa sind Vorkommen bis in das 17. Jahrhundert hinein belegt. In Ungarn und Bulgarien sollen noch im 19. Jahrhundert Bruten stattgefunden haben (Grüneberg et al. 2013).

Da die heutigen europäischen Populationen auf Freisetzungen beruhen, gilt die Nilgans als, inzwischen etabliertes, Neozoon (Nehring et al. 2015).

In Deutschland ist die Nilgans frei fliegend bereits seit 1884 bekannt. Die erste erfolgreiche Brut fand 1981 in Rheinland-Pfalz statt. Die Besiedlung verlief hauptsächlich über die expandierenden niederländischen und belgischen Bestände. Als Brutbestand wurden (Stand 2009) max. 3.300 Brutpaare angegeben (Grüneberg et al. 2013).

Negative ökosystemare Auswirkungen sind nicht bekannt. Die Konkurrenz um Nistplätze mit heimischen Arten wurde dokumentiert, aber nicht näher untersucht, eine Gefährdung anderer Arten ist nicht bekannt. Dennoch steht die Nilgans als „potenziell invasive Art“ auf der Beobachtungsliste (Nehring et al. 2015).

Im Naturschutzgebiet und Landschaftsschutzgebiet „Kiesgrubensee Gremberghoven“ (Köln/NRW, ca. 60 ha), in welchem die Nilgans neben Graugans, Kanadagans, Haubentaucher, Stockente und Bläßralle ohne feststellbaren Verdrängungseffekt vorkommt, konnte nach der ersten Brut im Jahr 2011 ein Anstieg auf maximal zwei Brutpaare pro Jahr bis 2017 festgestellt werden (BUNDzentrum Köln 2017). Dies könnte u.a. auf die Territorialität von Nilganspaaren (Grüneberg et al. 2013) zurückzuführen sein.

In NRW wurde die Nilgans in die Liste jagdbarer Arten aufgenommen. Im Jagdjahr 2009/2010 wurden 5.761, im Jagdjahr 2019/20 12.308 Tötungen (jeweils ohne Fallwild) durch Jäger*innen gemeldet (MULNV 2020).

 

 

Rostgans
Das aktuelle Verbreitungsgebiet der Rostgans (Tadorna ferruginea) erstreckt sich von Südosteuropa bis nach Zentralasien. Für das 16. Jahrhundert sind Vorkommen dieser Art auch für Regionen nördlich der Alpen belegt (Grüneberg et al. 2013).

Die bundesweit größte und seit 1975 wachsende Population lebt in der Niederrheinischen Bucht und im Niederrheinischen Tiefland (NRW) mit 100 – 120 Brutpaaren (Stand 2009). Höchstwahrscheinlich stammen alle Brutvögel der nordrhein-westfälischen Population von Gefangenschaftsflüchtlingen ab, eine Eingliederung von Wildvögeln ist nicht bekannt. Da jedoch Einflüge von wilden Vögeln nach Mitteleuropa belegt sind, kann dies nicht vollständig ausgeschlossen werden (Grüneberg et al. 2013).

Die Rostgans gilt derzeit dennoch als Neozoon (Südbeck et al. 2007, Grüneberg et al. 2016).

Bislang gibt es aus NRW keine Hinweise, die auf eine nachhaltige Verdrängung einheimischer Arten schließen lassen. In der Schweiz wurde beobachtet, dass Schleiereulen, Turmfalken und Waldkäuze durch Rostgänse aus Niststätten vertrieben wurden. Daraufhin wurde dort beschlossen, den Bestand zu eliminieren (Grüneberg et al. 2013).

Die Konkurrenzsituation im Schweizer Fall konnte nicht sicher nachgewiesen sowie bei Untersuchungen am Bodensee nicht bestätigt werden. Dennoch führten die Hinweise aus der Schweiz zu einer „begründeten Annahme einer interspezifischen Konkurrenz“ und zur Einstufung als „potenziell invasive Art“ (Nehring et al. 2015).

Innerhalb der EU ist die Art über Anhang I der Vogelschutzrichtlinie geschützt; dieser Schutzstatus gilt unabhängig vom Ursprung der Population (Grüneberg et al. 2013).

Aufgrund der langfristigen Rückgänge der eindeutig autochthonen europäischen Restvorkommen wurde die Rostgans 2004 in die Kategorie „gefährdet“ der europäischen Roten Liste aufgenommen (LANUV NRW 2019).

 

 

Fazit
Insbesondere das Beispiel der Rostgans legt methodische Mängel der Invasivitätsbewertung von Nehring et al. 2015 offen.

Eine interspezifische Konkurrenz ist ein häufiges Phänomen auch zwischen nicht gebietsfremden Arten. Erst wenn diese zu nachhaltigen Verdrängungseffekten von heimischen Organismen bzw. deren Populationen führen würde, könnte dies in belastbarer Weise problematisiert werden. Dies ist aber bei keiner der genannten Gänsearten der Fall.

Die Rostgans war ursprünglich auch in Mitteleuropa natürlich vorkommend, lediglich die Wiedereinführung war höchstwahrscheinlich nicht selbstständig. Die natürlichen Restvorkommen Europas gelten als gefährdet. Vor diesen Hintergründen ist eine Einstufung als „potenziell invasiv“ nicht ausreichend begründbar.

Bei keiner der Arten besteht ein tradierter oder etablierter Nutzungsanspruch. Jagdliche Eingriffe haben keine regulatorische Wirkung. Insofern ist eine Aufnahme ins Jagdrecht nicht begründbar und nicht sinnvoll. Eingriffe in Populationen, die nur mit hohem professionellen Aufwand zielführend sein könnten, bleiben über § 45 Abs. 7 BNatschG bzw. die EU-Verordnung 1143/2014 genehmigungsfähig, falls dies naturwissenschaftlich begründet und naturschutzfachlich vertreten werden kann. Für solche Ausnahmen bestehen jedoch bisher keine Anhaltspunkte.

In einem gemeinsamen Positionspapier fordern die Nordrhein-Westfälische Ornithologen-Gesellschaft, BUND, LNU und NABU daher ein komplettes Aussetzen aller Aktionen zur Dezimierung der Gänsebestände in NRW (NWO 2008).

Die mit der Verkotung von Liegewiesen zusammenhängenden Nutzungskonflikte werden in erster Linie durch eine geeignete Kommunikationsstrategie, die Umsetzung von Fütterungsverboten und durch Lebensraumgestaltung (Bsp. Rheinpark/Stadt Köln) gelöst. 

 

 

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